Titel: Wer (oder was) versorgt uns(ere) Patienten? Computerisierung von Diagnostik, Therapie und Pflege
Termin: 8.11.2018 bis 10.11.2018
Veranstaltungsort:
Kerschensteiner Kolleg
Museumsinsel 1
80538 München
Weitere Informationen:
http://www.deutsches-museum.de/fileadmin/Content/010_DM/050_Forschung/ ...
Ausgehend von der wissenschafts- und technikhistorischen Einordnung der Entwicklungen werden wissenschaftstheoretische Grundlegungen sowie und ethisch-normativen Anforderungen an den Wandel, der durch den Einsatz digitaler Technologie in Medizin und Pflege entsteht, analysiert und deren Zusammenspiel diskutiert.
Insbesondere in Bereichen, in denen Wissen unmittelbar handlungsrelevant wird und potenzieller Nutzen wie auch Schaden durch den Technologieeinsatz entstehen kann, wie bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten, werden Fragen der Verantwortung aufgeworfen, die nur im komplexen Zusammenspiel der dabei beteiligten Disziplinen sinnvoll und zukunftsweisend beantwortet werden können.
Hintergrund:
Nach dem Ende des II. Weltkriegs setzte man bald in verschiedenen Wissenschaftsbereichen Digitalcomputer als enorm schnelle und programmierbare Maschinen für komplexe Berechnungen ein. (Aspray, 1989). Seit den 1960er Jahren wurde der elektronische Computer auch ein neues Werkzeug in Wissenschaft und Forschung, das bald auch die Rolle einer treibenden und lenkenden Kraft einnahm (Agar, 2006; Hashagen, 2013). Ein wichtiger Bereich, in dem zur Mitte des 20. Jahrhunderts die Informationsflut nicht mehr ignoriert werden konnte, war die Medizin. Nicht nur die Fachliteratur, auch das in den Krankenhäusern in Patientenkarteien dokumentierte Datenmaterial wuchs immens (Seising, 2004). In den USA wurden daher schon in den 1950er Jahren Projekte zur elektronischen Datenverarbeitung mit Lochkarten im Gesundheitswesen durchgeführt und europäische Ärzte, die sich darüber informiert hatten, führten ähnliche Systeme nicht viel später auch in ihren Heimatinstitutionen ein.
Neben den technischen Neuerungen verändert sich durch die Möglichkeit der neuen Methoden der Datenanalyse auch die theoretische Grundlage der Medizin und die Formen der Wissensproduktion.
Ziele sind zum einen durch den Vergleich mit ähnlichen anderen Patienten auf eine individuelle Situation zugeschnittene Entscheidungsunterstützung zu erhalten. Zum anderen werden ökonomische Aspekte vorgetragen, da sich auf Grund eine systematischen ökonomischen KostenNutzen-Analyse Entscheidungshilfen ableiten ließen. Darüber hinaus sind auch im diagnostischen Bereich in der Auswertung von Bildern (Mamma-Screening) algorithmen-basierte automatisierte Auswertungen möglich. Perspektivisch wird angenommen, dass viele weitere auf der Verarbeitung von Daten basierende Prozesse in Zukunft in der Patientenversorgung automatisiert ablaufen können und die Aufgabe des Arztes vor allem in der Anwendung dieses Wissens bzw. der Empfehlungen auf den einzelnen Patienten besteht. Es ist zu erwarten, dass das ärztliche Selbstverständnis hierdurch neu justiert werden muss (Bendel 2015).
Allgemeine Aussagen dazu, welche Einsatzmöglichkeiten von Algorithmen es aktuell in der Medizin und außerhalb gibt, sind kaum zu treffen. Auch wenn theoretisch – entsprechend der bekannten Church-Turing-These – alle „mechanisierbaren“ Berechnungen mittels Algorithmen durchgeführt werden können, ergeben sich zwei wesentliche Einschränkungen einer allgemeinen Anwendung: Zum einen ist unklar, was tatsächlich „mechanisierbar“ ist, insbesondere im täglichen Leben. Zum anderen ergibt sich bei der Verbindung mit Big Data das Problem, wie nützliche Verbindungen von ebenfalls aufgefundenen ungeeigneten Korrelationen unterschieden werden können (Ethikrat 2017). Fragen der Verantwortungszuschreibung (und -diffusion) werden auch in Bezug auf den Einsatz sogenannter intelligenter Roboter in Pflege und Medizin diskutiert. Begründungssätze aus dem Bereich der Medizin- und Pflegeethik untersuchen Fragen nach der ethisch am besten zu rechtfertigenden Handlung, die durch Roboter ausgeführt wird, aktuell analog zur Beurteilung menschlicher Handlungen, für den allgemein gültige Regeln zur Beurteilung von Entscheidungen allerdings vorab mechanistisch festgelegt werden müssen.
Die aktuelle Debatte um Robotik in Medizin und Pflege, Medizin 4.0 und Big Data changiert zwischen Zukunftsvisionen einer technisch weit verbesserten Versorgung von PatientInnen einerseits und den Szenarien einer Entwicklung hin zu einer problematischen entmenschlichten Versorgungssituation andererseits, die jeweils suggeriert, dass hier ein grundlegender Wandel von Medizin, Pflege und Patientenversorgung stattfindet. Daher geht der Workshop von einer historischen Zugangsweise zu den skizzierten Fragestellungen aus, an die sich die weiteren Wissenschaftsperspektiven anschließen.
Der Workshop wendet sich insbesondere auch an NachwuchswissenschaftlerInnen aus den Bereichen (Wissenschafts-, Technik- und Medizin)Geschichte, Ethik, Medizin, Pflegewissenschaft, Informatik, Rechts- und Sozialwissenschaften mit Interesse an interdisziplinärem Austausch. Wir laden dazu ein, Beiträge, die die Technisierung von medizinischer Diagnostik, Therapie und Pflege durch den Computer thematisieren, einzureichen. Die zeitliche Perspektive grenzen wir in der Regel ein auf die historischen Entwicklungen vom frühen 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart.
Wir freuen uns auf die Einsendung von Exposés in einem Umfang von maximal 5.000 Zeichen sowie Kurz-Biographien der Autoren bis zum 31. Juni 2018 (zu richten an r.seising@deutsches-museum.de oder an jinthorn@uni-mainz.de.
Für Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit einem akzeptierten Vortrag kann eine Reisekostenunterstützung in Aussicht gestellt werden.
Eine an den Workshop anschließende Veröffentlichung ausgewählter Beiträge in konzeptionell möglichst geschlossenen Band ist vorgesehen.
Kontakt:
Rudolf Seising
Deutsches Museum
von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik
Museumsinsel 1
80538 München
r.seising@deutsches-museum.de